Kühlkörper
Hochseetauglich
Hoher Seegang macht nicht nur Passagiere auf Schiffen krank, auch die dort installierte Technik hat zu leiden. Ständige Wellenbewegungen und vor allem die Vibrationen der Schiffsmotoren setzen Anlagen und Komponenten heftig zu: Sie zerfallen buchstäblich in ihre Einzelteile. Rittal hat deshalb seine Kühlgeräte der Blue e+ Serie für maritime Einsätze weiterentwickelt und hochseetauglich gemacht. Bei der Phoenix Testlab GmbH wurden die Geräte auf Herz und Nieren geprüft und nach DNV getestet. Das macht sie auch für dynamische Anwendungen an Land interessant.
Ein Blick in den Maschinenraum zeigt: Platz auf Schiffen ist wahrer Luxus, und Raum für Technik Mangelware. Doch dort hinein muss sie trotzdem, manchmal auch nachträglich, so etwa Scrubber-Anlagen zur Reinigung von Abgasen, wie sie durch schärfere Umwelt-vorschriften gefordert werden. Die verbauten Anlagen müssen so einiges aushalten: Vibrationen durch den Dieselmotor, Schwankungen im Seegang, Hitze und Feuchtigkeit stressen die Elektronik enorm. Das betrifft auch die Kühlgeräte für die Schaltschrank-Klimatisierung, wie Ralf Schneider, Leiter Solution Sales Cooling bei Rittal, erläutert: „Kühlkompressoren und andere schwere Komponenten, die in Kühlgeräten verbaut sind, geraten etwa durch Vibrationen in heftige Schwingungen: Nach kurzer Zeit reißen Kältemittelleitungen, Aufhängungen werden zerstört.“ Der Grund: Kühlgeräte sind normalerweise nicht für dynamische, sondern nur für statische Anwendungen entwickelt. „Kompressoren, die herkömmlich schwingungsgedämpft montiert sind, um im Industriebetrieb empfindliche Geräte wie die Spindeln von Werkzeugmaschinen nicht zu stören, können auf See genau das Gegenteil erreichen und sich regelrecht ‚aufschaukeln‘ und damit Ursache für viele weitere Probleme sein“, so Ralf Schneider.
Zertifizierung nicht trivial
Um für den Wachstumsmarkt der Schiffsausrüstung auch Kühllösungen anbieten zu können, entschloss sich Rittal, seine Kühlgeräte-Baureihe Blue e+ für dynamische Anwendungen weiterzuentwickeln und sie für den maritimen Einsatz testen und zertifizieren zu lassen. Ralf Schneider erinnert sich an den Prozess: „Für unsere AX Gehäuse und VX25 Schaltschränke sowie das Ri4Power Stromverteilungssystem haben wir bereits seit einigen Jahren eine Schiffszulassung, aber nicht für die Kühlgeräte. Ein Kunde wollte jedoch seine kompletten Systeme zertifizieren lassen, einschließlich unserer Kühlgeräte.“
Kühlgeräte hochseetauglich zu machen und dafür eine Zertifizierung zu bekommen, ist alles andere als trivial. Es gibt mehrere große Klassifikationsgesellschaften, die je nach Branche von Reedern und Ausrüstern bevorzugt werden. Außerdem hat jeder Anbieter unterschiedliche Zertifikate entwickelt, je nachdem, ob ein Gerät auf der Brücke, im Maschinenraum oder an Deck eingesetzt werden soll. Rittal entschied sich für eine Zertifizierung nach DNV, eine führende Klassifikationsgesellschaft für die maritime Industrie. DNV-Zertifikate sind in der Handelsschifffahrt weit verbreitet und auch in kritischen Bereichen wie Öl und Gas weltweit anerkannt. Das Zertifikat umfasst Tests mit Vibrationen, klimatischen Schwankungen, Inklination und EMV (Elektromagnetische Verträglichkeit) -Emissionen, dazu gehören sowohl die Störaussendung (Emission) als auch die Störfestigkeit.
Zahlreiche DNV-Tests
Um die Kühlgeräte für den Seeeinsatz zu ertüchtigen, verstärkten die Entwickler von Rittal im ersten Schritt die Aufhängungen der Komponenten – etwa des Kompressors – sowie die Verbindungen der Rohrleitungen, und veränderten deren Verlauf im Gerät. Um sicherzustellen, dass die konstruktiven Änderungen den Anforderungen genügen, wurden die Geräte zunächst im QS-Labor von Rittal getestet. Für Spezialfälle wie die Schiffsklassifizierung finden dort Pre-Compliance-Prüfungen statt, die technisch den Vorgaben des Zertifikats entsprechen. Zur Durchführung der finalen DNV-Tests beauftragte Rittal das unabhängige Phoenix Testlab in Blomberg. Verantwortlich für die Umweltprüfungen beim Phoenix Testlab ist das Team rund um Lars Diedrichs: „Um die Vibrationsfestigkeit zu prüfen, haben wir zunächst einen Sinus-Sweep-Test durchgeführt, bei dem wir ein definiertes Frequenzspektrum durchfahren. Damit konnten wir feststellen, ob Resonanzen auftreten. Danach folgte ein Breitbandrauschen-Test über den gesamten Frequenzbereich. Der Prüfling wurde über 2,5 Stunden in jeder Raumachse vibriert, also insgesamt 7,5 Stunden.“ Nach dem Vibrationstest ging es in die Klimakammer, wo die Prüflinge mehrere Temperaturzyklen, zum Teil mit hoher Luftfeuchtigkeit, durchliefen.
Für „dynamic“-Anwendungen
Auf einem weiteren Prüfstand wurde dann die Inklination, also die Schiffsbewegung simuliert. Den Abschluss bildeten EMV-Messungen, die sowohl Prüfungen zur Störaussendung als auch zur Störfestigkeit beinhalteten. Es überraschte zunächst, dass diese EMV-Anforderungen in der Schifffahrt deutlich höher sind als in der Industrie. Hintergrund: Die oberste Priorität auf Schiffen hat der Funkverkehr. Dazu Diedrichs: „Ein Schiff ist eine Insellösung. Der Platz auf den Kabeltrassen ist knapp, und es gibt keine so saubere Potenzialtrennung wie in einer Industrieanlage. Deswegen sind die Anforderungen deutlich schärfer.“ Getestet wurden Geräte in den Leistungsklassen 1,0 und 1,6 kW sowie 2,0 und 2,6 kW. Die DNV-getesteten Geräte gehen unter dem Namen „Blue e+ dynamic“ Anfang 2025 in die Serienproduktion.
„Die Kühlgeräte bieten neben der Sicherheit auch einen großen Kosten-vorteil“, resümiert Ralf Schneider. „Die Geräte liegen preislich über den Standardversionen, sind aber viel billiger als Alternativen wie Luft/Wasser-Wärmetauscher. Dafür müsste man mit viel Aufwand Rohrleitungen nachrüsten.“ Und es gibt noch weitere Anwendungen: „Dynamische Belastungen gibt es nicht nur auf Schiffen. Ich denke an Krananlagen, bei denen ein Schaltschrank auf der Laufkatze mitfährt. Wir hatten auch schon Anfragen für die Gepäckförderanlage eines Flughafens. Ein normales Kühlgerät kann das aushalten, eventuell aber auch nicht. Ein Gerät, das die harten DNV-Tests überstanden hat, wird sich auch in so einer Umgebung bewähren.“
Autoren: Martin Witzsch, Hans Robert Koch