Kommunikation
Kaufen oder selbst machen?
Herr Döring, welchen Stellenwert haben Kommunikation und Vernetzung heute in Unternehmen?
Die industrielle Kommunikation hat in den letzten fünfzig Jahren eine rasante Entwicklung genommen. War anfangs die Vernetzung einzelner Anlagenteilen eher eine Seltenheit, weil technisch aufwendig und teuer zu realisieren, ist sie heute das zentrale Element der Digitalisierung. Ohne kommunikative Vernetzung ist Industrie 4.0 nicht denkbar. Auch der Entwicklungsprozess von Kommunikationslösungen selbst hat sich in dieser Zeit gewandelt. Zwar ist es prinzipiell einfacher geworden, flexible Kommunikationslösungen zu realisieren. Jedoch ist der Dschungel an Möglichkeiten und Vorschriften gewachsen. Hinzu kommt die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Gerätehersteller, die Anfang der 2000er Jahre selbst eine Kommunikationslösung entwickelt haben, konnten diese über viele Jahre einsetzen. Heute ist die Investition in solche Entwicklungskosten mit einem viel höheren Risiko verbunden.
Können Sie einen Überblick über Kosten und Aufwand einer Netzwerklösung geben?
Unternehmen, deren Kernkompetenz in der Entwicklung von Lösungen für Netzwerkkommunikation liegt, verfügen naturgemäß in diesem Bereich über breitgefächertes Know-how, können Trends besser einschätzen und sind bei Veränderungen konsequent am Ball. Dieses Know-how zu erwerben und auf aktuellem Stand zu halten, kostet Zeit und Geld.
Entwickelt ein Gerätehersteller hingegen die Kommunikationslösung selbst, sind diese Kosten oft nicht transparent und eben einfach da. Aus ihrer Sicht ist die Kommunikationsanbindung nur ein lästiges Must-have. Mit steigender Komplexität industrieller Kommunikation auf technischer und normativer Ebene steigen mittelfristig aber auch die Kosten für Entwicklung und Wartung einer Kommunikationslösung. Und sie fallen deutlich mehr ins Gewicht als die reinen Komponentenkosten. Es ist aufwändig, einzelne Maschinen oder Automatisierungskomponenten kommunikativ in ein Produktionsnetzwerk einzubinden. Immer wieder stellt sich dazu also die Frage: selbst entwickeln oder zukaufen? Wer das entscheiden will, sollte sich einen zweiten Blick gönnen. Denn unter der Spitze des „Kommunikationseisbergs“ steckt mehr als man zuerst denkt.
Warum entwickeln viele Unternehmen ihre Kommunikationslösung dann immer noch lieber selbst?
Sie sind getrieben von einem Unabhängigkeitsstreben und der Angst vor Kontrollverlust. Man will wissen, wie die eingesetzte Lösung funktioniert und nicht abhängig sein von einem externen Zulieferer. Beide Argumente greifen heute jedoch nicht mehr. Mit zunehmender Komplexität bedingt durch verschärfte rechtliche Vorgaben und technische Weiterentwicklungen in immer kürzeren Zeiträumen, muss man sehr vertraut sein mit der Materie, um Kommunikationslösungen verstehen und sicher und zuverlässig entwickeln zu können.
Abhängig hingegen bleibt man bei Eigenentwicklungen von Komponentenlieferanten. Was das bedeutet, haben viele in den letzten Jahren unangenehm erfahren. Abgekündigte Bauteile werden die Branche auch künftig beschäftigen. Dann braucht es schnell Redesigns mit alternativen Komponenten. Ein Aufwand, den man neben dem Alltagsgeschäft eigentlich nicht leisten kann. Auch dieses Risiko lässt sich bei einer Zukaufentscheidung der Kommunikationslösung an den Dienstleister auslagern.
Warum ist es darum sinnvoll, die Technik von Experten zuzukaufen?
Die zunehmende Komplexität der Thematik erfordert Profis, die sich Vollzeit mit Technik und Normen auseinandersetzen. So entstehen zukunftssicher Produkte, die jeweils zum aktuellen Stand der Technik weiterentwickelt werden. Zudem ist Security kein Stempel, den man einem Produkt nach seiner Herstellung eben schnell einmal aufdrückt. „Security by design“ lautet die Devise, die Vorgaben aus der IEC 62443 beispielsweise im gesamten Designprozess im Blick hat. Zudem sind Zertifizierungsprozesse mit Zukaufprodukten einfacher und risikofrei.
Dass es beim Zukauf keine versteckten Kosten gibt, ist ein Vorteil ebenso wie Skalierbarkeit und Flexibilität. Mit Lösungen vom Technologiepartner kann man je nach Projekt auf Kommunikationsstandard und Formfaktor zugreifen, die die jeweilige Lösung und der jeweilige Markt erfordern. Zudem kommt man viel schneller zu einem proof of concept. Es lässt sich ersehen, ob und wie sie vom Markt angenommen wird und wie sich durch Erweiterung neue Märkte erschließen lassen. Denn da Kommunikationsschnittstellen fertig entwickelt zur Verfügung stehen, ist die Time-to-market deutlich verkürzt.
Und letzten Endes werden mit dem Zukauf von Kommunikationsschnittstellen im eigenen Haus Entwicklungskapazitäten frei, die man für die Umsetzung der eigenen Kernkompetenzen bestens gebrauchen kann. In Zeiten des Fachkräftemangels ist auch das ein schlagkräftiges Argument.
Was können Sie Anwendern konkret bieten?
Das richtige Kommunikationsmodul für jeden Zweck. Denn HMS bietet als Technologiepartner eine breite Auswahl von Kommunikationslösungen an. Wir bieten Embedded-Lösungen, die sich mit geringem Platzbedarf in die eigene Entwicklung integrieren lassen, ebenso wie PC-basierte Kommunikationskarten oder verschiedene Gateways. Embedded eignet sich da, wo hohe Stückzahlen realisiert werden, während sich Gateways flexibler an Kundenanforderungen anpassen lassen.
Können Sie ein konkretes Produktbeispiel geben?
Neu im Portfolio ist die einbaufertige Embedded-Kommunikationsschnittstelle Anybus CompactCom B40 Mini. Durch die sehr kompakte Bauform trägt sie der Tatsache Rechnung, dass Anwender auf immer kleinerem Raum eine Kommunikationsschnittstelle realisieren müssen. Damit ist das Modul jetzt auch eine interessante Lösung für Sensorik-Anwendungen wie Drehgeber oder RFID-Sensoren, bei denen die Netzwerkkommunikation bisher meist durch eine deutlich aufwendigere Chip-Implementierung gelöst wird. Das B40 Mini ist nur auf einer Seite bestückt und kann dadurch direkt auf die Host-Platine des Automatisierungsgeräts gelötet werden – eine kostengünstige Lösung vor allem für hohe Stückzahlen.
In nur einem Entwicklungsprojekt lässt sich die Anbindung an mehrere industrielle Netzwerke realisieren. Da die Schnittstellen über Firmware-Updates ständig an neue Anforderungen angepasst werden, erhalten Anwender eine zukunftsfähige Lösung, die heutigen und künftigen Kommunikationsanforderungen standhält. Außerdem sind die Kommunikationsschnittstellen von HMS Networks im Hinblick auf Netzwerkkonformität vorzertifiziert, was auch zu einer kürzen Time-to-Market des Automatisierungsgeräts führt.
Ohne Normen geht nichts, haben Sie angedeutet. Was erwartet Anwender in diesem Zusammenhang? Wie lässt sich Sicherheit gewährleisten?
Relevant für die industrielle Kommunikation sind unter anderem: IEC62443, NIS2, der Cyber Ressilience Act oder auch die neue EU-Maschinenverordnung. In dessen neuer Fassung werden zum ersten Mal explizit die Sicherheitsanforderungen für sogenannte mobile Maschinen festgelegt: Unter anderem ist eine Möglichkeit gefordert, diese über eine „Supervisor-Funktion“ von außen sicher abzuschalten und wieder zu starten. Es wird also eine kabellose Not-Halt-Kommunikation benötigt. Solche veränderten gesetzlichen Forderungen stellen Entwickler vor immense Herausforderungen.
Wie wichtig ist eine Standardisierung der Kommunikationsschnittstellen?
Die zunehmende Vernetzung nicht nur innerhalb der OT-Ebene, sondern auch zwischen OT- und IT-Ebene ist nur mit definierten Kommunikationsschnittstellen möglich. Standardisierte Kommunikationsprotokolle für die Kommunikation zwischen OT- und IT-Ebene ermöglichen den zuverlässigen und sicheren Datenaustausch und sind somit essenziell. Allerdings steigen die Marktanforderungen in Bezug auf Leistung, Sicherheit oder Performanz. Daher müssen auch die standardisierten Protokolle permanent angepasst werden, und das in immer kürzeren Zeiträumen. Wer also Kommunikation in ein Automatisierungsgerät integrieren möchte, muss nicht nur einen Standard kennen, sondern dabei gleich mehrere im Blick behalten und beobachten, wie sie sich weiterentwickeln. Wer sich nur am Rande mit Kommunikationstechnik befasst, hat es nicht leicht, diesen Überblick zu wahren. Gleichzeitig ist auch die Abschätzung schwierig, welche neue Technologie nur ein Hype ist und welche sich wirklich durchsetzen wird.
Autor: Basismaterial von Thilo Döring, Geschäftsführer, HMS Industrial Networks GmbH
Bilder: HMS Industrial Networks GmbH