Interview

"Nachhaltigkeit ist in unserer DNA fest verankert"

"Nachhaltigkeit ist in unserer DNA fest verankert"

Nachhaltigkeit ist in der Industrie aktuell ein nicht mehr wegzudenkender Begriff. Handelt es sich dabei nur um ein Buzzword oder kann der Anwender wirklichen Mehrwert erwarten? Chefredakteur Dirk Schaar sprach mit Christophe de Maistre, Präsident der DACH-Zone bei Schneider Electric und die Herausforderungen auf dem Weg zur nachhaltiger Industrie.

Herr de Maistre, Sie sagen, dass die Nachhaltigkeit die DNA von Schneider Electric sei. Was verstehen Sie darunter?

Bereits in unserem ersten Nachhaltigkeitsbericht aus dem Jahr 2005 kann man nachlesen, dass Schneider Electric ein Early Adopter in Sachen Nachhaltigkeit ist. Das wichtige Thema ist also seit mindestens 18 Jahren präsent. Und dieser Ansatz gilt auch für die seit knapp 15 Jahren existierende IIoT-Architektur EcoStruxure und eine Umsetzung ist auf allen relevanten Unternehmensebenen gegeben - von Operations über F+E bis hin zu M&A. Schneider Electric dürfte dabei weltweit das fokussierteste Unternehmen sein. Nachhaltigkeit ist in unserer DNA fest verankert. Unser gesamtes Handeln zahlt darauf ein. 

Wenn wir aktuell über Messen laufen, sehen wir bei fast jedem Unternehmen das Thema „Nachhaltigkeit“ in großen Lettern stehen. Sehen Sie das eher als eine Marketingaktion des Marktes? Und wie gehen Sie damit bei Schneider Electric um?

Leider ist es so, dass nicht jedes Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit sensibel genug umgeht. Gerade Industrie und Politik haben hier eine große Verantwortung, denn Greenwashing birgt eine hohe Gefahr. Die Menschen fordern zurecht eine authentische, also auch wahrheitsgemäße Kommunikation. Gehen wir damit nicht angemessen um, verlieren wir die Gesellschaft und den Menschen. Wenn diese Glaubhaftigkeit verloren geht, ist die Erreichung der Klimaziele definitiv in Gefahr.

Nachhaltigkeit hat viele Facetten: Einsparung von Ressourcen, energieeffiziente Produktion, Umweltschutz und Klimaneutralität, um nur ein paar zu nennen. Worauf legen Sie bei Schneider Electric besonderen Wert?

Hier fällt mir die Antwort wirklich sehr leicht. Denn bei uns spielen alle Faktoren eine Rolle – das geht hin bis zur Bio-Diversität. Ein gutes Beispiel ist unser Headquarter in Rueil Malmaison in der Nähe von Paris: Hier haben wir sogar Bienenstöcke auf dem Dach. Daher stammt auch der Name „Le Hive“. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Einsparung von Energie, also dem Energiemanagement. Energie erst gar nicht zu verbrauchen ist und bleibt der größte Hebel der Nachhaltigkeit. Neben der Medienwirksamkeit der erneuerbaren Energien geht das leider zu häufig unter. Dabei ist es sehr wichtig, aller Partner und das komplette Ecosystem in die Betrachtungen einzubeziehen. Es geht darum, dass Umfeld zu sensibilisieren und zu befähigen. Und dies über die technischen Lösungen hinaus. Gerade Beratung und auch Services sind für mittelständische Unternehmen unabdingbar, weil dort allzu oft Mangel an Ressourcen und Know-how besteht.

Nachhaltigkeit muss gelebt werden, wie Sie schon sagten. Nachhaltigkeit muss aber auch gezielt ungesetzt werden – beim Hersteller und beim Kunden in eine Strategie einfließen. Welche technologischen Lösungen sehen Sie hier ganz vorne, um dem Ziel näher zu kommen?

Es gibt nicht „die“ Nachhaltigkeitslösung! Dazu sind Branchen, Geschäftsmodelle und auch Unternehmensgrößen zu unterschiedlich. Hier setzen wir ganz stark auf Beratung für den Kunden und müssen seine Voraussetzungen kennenlernen. Eine der wesentlichen Basistechnologien und Grundvoraussetzung für Nachhaltigkeit ist die Digitalisierung. Egal, ob es um einen Cradle-to-Cradle-Ansatz geht, ob Sie aus produktiver Maschinenabwärme Räumlichkeiten heizen möchten, oder aber über Predictive Maintanance zukünftige Schwachstellen möglichst effizient, ohne Ausfallzeit und Minimierung der Reisekosten beheben wollen. Allen voran gilt bei uns „eat your own food“. Mittels dieser Unternehmenskultur haben wir über 100 Smart Factories und knapp 80 CO2-freie Standorte weltweit geschaffen. Unser Ziel ist es bis 2030 „Net-Zero-ready“ in Operations (Scope 1+2) zu sein und bis 2050 Netto-Null in Value Chain (Scope 3). Diese Ziele wurden von der Science Based Targets-Initiative validiert.

Bedeutet das auch den Einsatz oder gerade den Einsatz Künstlicher Intelligenz?

Künstliche Intelligenz ist der größte Paradigmenwechsel, den wir in der Technologie in den letzten Jahren gesehen haben. Sie bietet das größte Potential für eine Transformation überhaupt. KI gibt aber auch eine Antwort auf viele Marktbedürfnisse: Optimierung der Energiekosten, Umsetzung der Dekarbonisierungsziele, Antworten auf fehlende Fachkräfte, Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Standortsicherung. Diese Entwicklung spielt bei Schneider Electric eine große Rolle. So bringen wir an unseren drei globalen Standorten, sogenannten AI-Hubs mit mehr als 300 Spezialisten, Fachwissen mit unserem EcoStruxure in Verbindung. Dabei steht verantwortungsvoller Umgang mit vertrauenswürdiger KI an erster Stelle. Unsere Schwerpunkte liegen dabei auf interner Produktivität, eingebetteter KI und Beratung.

Wie integriert Schneider Electric Künstliche Intelligenz in seine Lösungen, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen? Gibt es bereits Best Practices, die Sie teilen können?

Hier habe ich ein konkretes Beispiel: Bilderkennung in unserem Demonstrator, den wir gemeinsam mit Desoltik, einem Start-up  des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), zur SPS 2023 auf unserem Stand gezeigt haben. Es handelt sich dabei um eine Robotiklösung die vollautomatisch Computerchips demontiert. Hier werden wertvolle Halbleiter in ausrangierten Elektroniken identifiziert, automatisiert ausgebaut und anschließenden der Wiederverwertung zugeführt. Da die Chips auf unterschiedlichen Platinengrößen sowie an verschiedenen Stellen verbaut sind, wird eine hohe Flexibilität benötigt. Zur Lokalisierung der für die Demontage relevanten Bauteile kommt eine KI-basierte Bilderkennung zum Einsatz. Diese lokalisiert die Chips auf der Platine, beurteilt deren Wertigkeit und leitet die Roboter durch Berechnung der Zielpositionen bei der Entnahme der Chips an. Auf diese Weise konnte eine vollautomatisierte und hochgradig flexible Lösung realisiert werden, mit der die sehr anspruchsvollen Arbeitsschritte auch wirtschaftlich rentabel ablaufen können.

Auch das sogenannte Metaversum wird immer präsenter in der Industrie. Wie sehen Sie hiermit die Möglichkeiten zur Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in der Industrieautomation? Und welche konkreten Vorteile bringt es?

Das industrielle Metaversum bringt völlig neue Räume und Möglichkeiten der Interaktion und steigert die Effizienz auf unterschiedlichsten Ebenen. Der konkrete Vorteil liegt im schnellen und unkomplizierten Austausch beispielsweise globaler Spezialisten. Die Basis dafür bildet bei Schneider Electric der Digitale Zwilling. Das bedeutet Planungssicherheit für die Industrie oder den Gebäudesektor auf Capex- und Opex-Seite. Und nicht zuletzt sind Trainingsumgebungen für Sicherheits- und Serviceanforderung hier inbegriffen.

Stellen denn Kunden bereits Anforderungen an Schneider Electric, auf diese neuen Technologien zu setzen? Wenn ja, wie konkret?

Ja, absolut, z.B. beim BIM (Building Information Modeling) im Bereich von Nutzbauten: Der Gebäudemarkt ist heute sensibilisiert, gerade für Opex. Daher ist ene Datendurchgängigkeit bei eigenen, aber auch bei Partnerlösungen notwendig. Ein weiteres Beispiel stekkt die Bündelung der Kräfte zwischen etap und Schneider Electric dar, mit der wir gemeinsam die digitale Transformation für globale Nachhaltigkeit vorantreiben Möchten: etap digitalisiert die kritische Infrastruktur von vernetzten Produkten bis hin zu Analysen, die effizientere, sicherere und nachhaltigere Datacenter, Versorgungsunternehmen und Transport schaffen. etap ist ein führender Softwareplattform-Entwickler für die Modellierung und Simulation elektrischer Energiesysteme und optimiert Stromversorgungssysteme von Kunden auf der Grundlage ihrer digitalen Zwillings-Entsprechungen.

Reine Zukunftstechnologien bringen uns auch nicht weiter und Kunden möchten sicherlich in Krisenzeiten auch solide Technologien. Schneider Electric hat eine lange Geschichte in der Antriebs- und Steuerungstechnik. Welche neuen technischen Konzepte oder Entwicklungen können denn hier schon zur Nachhaltigkeit beitragen? Geht es nun um Energieverbrauch?

Elektrische Antriebe haben zwar einen hohen nominellen Wirkungsgrad, tatsächlich gibt es aber oft Verbesserungsbedarf. Daher setzen wir bei den Schneider-Electric-Lösungen auf Frequenzumrichter oder Sanftanlasser. Aber auch mit Simulationstools kann die Antriebsauslegung deutlich optimiert werden. Hier haben wir jede Menge Produkte und Werkzeuge im Programm. TeSys island ist z.B. eine Kombination aus Start-, Schütz- und Analysetechnologien. Diese bietet granulare Informationen zu Motorströmen und ein hohes Maß an Datentransparenz in nicht vernetzten Hallen. So nutzt z.B. der deutsche Mittelständler JA Becker TeSys island in seinen Kompressoren.

Wie sieht die Vision von Schneider Electric für eine nachhaltige Zukunft im Bereich der Industrieautomation aus, und welche Schritte werden unternommen, um diese Ziele auch in Zukunft zu verwirklichen?

Wir sehen die Zukunft auf drei Ebenen. Erstens: weitere Fokussierung auf softwarezentrische Lösungen. Zweitens: komplette Transparenz und Einsatz offener Standards. Drittens: Universal Automation IEC 61499, loslösen der Hard- von der Software über herstellerübergreifende Runtime-Umgebung. Dies öffnet Anwendungen in heterogenen Umgebungen und ist der Beschleuniger für effiziente Integration und Migration. Das hat eine hohe Bedeutung für den Mittelstand. Projekte werden damit investitionssicher „in time & in budget“.

Wird es Ihrer Meinung nach so sein, dass der deutsche Mittelstand nur konkurrenzfähig bleibt, wenn er sich auch schon heute mit Technologien wie Metaversum und ChatGPT im Zusammenhang mit seiner Automatisierung befasst?

Diese Frage kann man nur mit ja beantworten. AI-Anwendungen schießen exponentiell wie Pilze aus dem Boden. Wer hier nicht frühzeitig und selektiv auf Mehrwerte schaut, wird das Nachsehen haben. Das gilt für Unternehmen und ganze Wirtschaftsstandorte. Dessen muss man sich immer bewusst sein.

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