Automatisierung
Smarter Bienenstock
Phoenix Contact ist unter die Imker gegangen – keine Imagepflege, sondern ein spannendes Projekt der Anwender-Community von PLCnext Technology. Diese beschäftigt sich mit den Einsatzmöglichkeiten moderner Automatisierungstechnik. Konkret geht es darum, mit Schwarmintelligenz schneller zu hochwertigen Ergebnissen zu kommen.
Bienen sind hinter Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier für die Landwirtschaft, denn sie bestäuben gemeinsam mit anderen Insekten 75 Prozent der heimischen Blühpflanzen. Der wirtschaftliche Wert der Bestäubungsleistung der Bienen für die Landwirtschaft wird für Europa auf 65 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Speziell die Bedeutung der von Imkern betreuten Honigbiene nimmt ständig zu, denn der Bestand hat in den letzten Jahren nicht nur in Europa dramatisch abgenommen. Gründe gibt es viele: die Nutzung von Pestiziden in der Landwirtschaft, Überdüngung, weniger Blühflächen, Klimawandel, Zerstückelung der Landschaft bis hin zum privaten Steingarten und die eingeschleppte Varroa-Milbe.
Imker hierzulande müssen die Gesundheit ihrer Bienenvölker ebenfalls stets genau im Blick behalten. Könnte man also der Honigbiene, den Imkern und den Insekten mit Automatisierungstechnik das Leben erleichtern?
Überwachung durch verschiedene Sensoren
Auf den ersten Blick eher nicht: Ein Bienenvolk ist ein komplexer Bioorganismus, der seit tausenden von Jahren sehr gut ohne Automatisierung funktioniert. In der industrialisierten Landschaft wird das Überleben eines Bienenvolks mittlerweile allerdings ohne menschliche Unterstützung schwer. Ein Versuch in der Schweiz zeigte, dass eine Wiederansiedlung von Bienenvölkern in ihrer natürlichen Lebensumgebung, dem Wald, lediglich bedingt erfolgreich ist. Sie überlebten entweder aufgrund von Nahrungsmangel oder wegen unbehandelter Krankheiten im Durchschnitt maximal zwei Winter.
Hier ist also der Imker gefragt: Wie kann Automatisierungstechnik dabei helfen, das Leben der Honigbiene und anderer Insekten zu verbessern? Und was kann die Automatisierungstechnik von der Natur lernen? Schon heute überwachen zahlreiche Imker ihre Bienenstöcke mit verschiedenen Sensoren per „Fernwartung“.
Und es gibt noch viel Luft nach oben. Die Erfassung des Gesundheitszustands – beispielsweise eines Befalls mit Varroa-Milben – durch Bildverarbeitung und per App wird ebenso umgesetzt, wie die Kontrolle des Schwarmverhaltens. Ferner werden Warnungen an den Imker versendet, bevor ein Schwarm auszieht. Dies geschieht durch das Auswerten von Innentemperatur, Geräuschpegel und Vibration. In der industriellen Welt würde man von Predictive Maintenance sprechen.
Übertragung auf die Industrie
Weitere Felder sind zum Beispiel die Wahrnehmung von Eindringlingen am Flugloch – etwa Mäuse, Wespen oder Hornissen – und deren Abwehr auf Basis von Bilderkennung. Auf die Automatisierungstechnik übertragen wird somit Machine Vision verwendet. Darüber hinaus erhält der Imker eine Alarmierung bei einem Schwarmauszug, der auf der Feststellung eines plötzlichen Gewichtsabfalls basiert. So hat er die Möglichkeit, den Schwarm wieder einzufangen. Die Gewichtsaufnahme dient auch zur Bestimmung der richtigen Zeitpunkte für die Honigernte beziehungsweise die Detektion des Endes einer Massentracht – beispielsweise dem Ende der Blüte von Raps oder Linde. Ebenso erleichtert eine Cloud-basierte Gewichtserfassung und Datenauswertung die Abschätzung des Futtervorrats im Winter.
Denkbar sind ferner die Erkennung von Weisellosigkeit – des Königinnenverlusts – anhand der Töne, die Bienen von sich geben. Das ist ein lautes Brausen innerhalb der ersten ein bis zwei Wochen der Weisellosigkeit. Zudem lassen sich aktuelle Wetterdaten und Vorhersagen aufnehmen, zum Beispiel zur Ermittlung von Behandlungszeitpunkten gegen die Varroa-Milbe mit biologischen Säuren. Das alles sind Beispiele für technische Anwendungsfälle, die in ähnlicher Art ebenfalls im industriellen Umfeld gelöst werden müssen.
Projektplanung und -realisierung
Wenn man diese Aufgaben aus Sicht eines Automatisierers betrachtet und mit den Herausforderungen von industriellen Automatisierungsaufgaben vergleicht, lassen sich durchaus Parallelen ziehen: Anwendungsfälle wie Predictive Maintenance, Condition Monitoring sowie Machine Vision für die Ausschussfeststellung oder Sortieraufgaben sind ähnlich geartet. Warum also nicht in einem naturnahen Projekt die Anwendungsmöglichkeiten des industriellen Steuerungssystems PLCnext Technology nutzen, veranschaulichen, Ideen zur Unterstützung von Bienen und Imkern sammeln und beispielhaft umsetzen?
Gesagt, getan: Phoenix Contact hat sich unter die Imker gemischt und einen smarten Bienenstock aufgebaut. Da das Thema „Bienen und Insekten“ aufgrund des fortschreitenden Artensterbens momentan in aller Munde ist und geradezu als Hype bezeichnet werden kann, wählten die Blomberger Automatisierungsspezialisten für das Projekt den Namen Beehyve – eine Wortkombination aus Beehive und Hype.
Das Beehyve-Projekt zur Automatisierung des Bienenstocks wurde dabei als Community-Projekt aufgesetzt und durchgeführt. Mehrere Unternehmen mit ihrem jeweils spezifischen Expertenwissen und Erfahrungsschatz haben unterschiedliche Teilprojekte geplant und auf Basis der PLCnext Technology am Bienenstock realisiert.
Am smarten Bienenstock sind aktuell verschiedene Sensoren und Kameras verbaut. So wird über mehrere Temperatursensoren nicht nur die Temperaturverteilung innerhalb des Bienenstocks erfasst, sondern auch plötzliche Temperaturschwankungen, die beispielsweise auf einen bevorstehenden Schwarmauszug hinweisen können. Außentemperaturen, weitere Wetterdaten und die Gewichtsaufnahme helfen dem Imker bei der Abschätzung des Futtervorrats im Winter, alarmieren bei einem Schwarmauszug im Frühling und zeigen den Anfang, das Ende und die Menge des Nektareintrags an.
Erforschung der Handerkennung
Sämtliche Daten werden in die Cloud übertragen und in übersichtlichen Dashboards visualisiert. Über Bilderkennung am Stockeingang lassen sich Eindringlinge erkennen. Wärmebildkameras verraten im Winter die Größe und den genauen Aufenthaltsort der Bienentraube innerhalb des Bienenstocks. Vibrationssensoren erfassen die Aktivität der Tiere. Ein digitaler Zwilling des smarten Bienenstocks unterstützt bei der Strukturierung und Beschreibung der aufgenommenen Daten. Das reicht so weit, dass innerhalb des digitalen Zwillings sogar der CO2-Fußabdruck des Produkts Honig fortlaufend berechnet werden kann.
Künstliche Intelligenz (KI) erweitert die Möglichkeiten der Datenanalyse erheblich. In einem Beehyve-Teilprojekt lassen sich zum Beispiel die Handgriffe der Imkerei zu einem faszinierenden Testfeld für die Erforschung der Handerkennungstechnologie verwenden. Durch die Videoaufzeichnung von Handbewegungen und die enge Zusammenarbeit mit Imkern zur Dokumentation von Prozessschritten wird ein KI-Modell trainiert, das diese subtilen, aber entscheidenden Gesten detektieren und verstehen kann.
Das übergeordnete Ziel aller Teilprojekte ist die Ausweitung der Technologien auf reale Anwendungen im industriellen Umfeld. So fassen die Projektpartner etwa den Einsatz kameragestützter Handerkennung innerhalb eines Produktionsbereichs ins Auge. Der Schwerpunkt liegt hier auf Montagestationen, an denen unterschiedliche Komponenten zusammengeführt werden, um das Endprodukt herzustellen.
Durch die Implementierung von Computer Vision soll sich die Qualitätskontrolle verbessern, indem überprüft wird, ob sämtliche erforderlichen Komponenten korrekt in das Endprodukt integriert wurden. Diese Innovation hat das Potenzial, das Vorgehen zu optimieren, wie sich Qualität und Genauigkeit in Fertigungsprozessen sicherstellen lassen. Alle Beehyve-Teilprojekte konnten mit Hilfe des umfangreichen Schwarmwissens der PLCnext Community erfolgreich im smarten Bienenstock umgesetzt werden.
Autor: Friedrich Wegener, Senior Specialist Software Standardization (und Hobby-
Imker), Phoenix Contact Electronics GmbH, Bad Pyrmont
Bilder: Phoenix Contact Electronics GmbH