Roboterprogrammierung
Vereinfachund erschließt neue Einsatzbereiche
Die Vorteile von Robotern sind hinlänglich bekannt: Sie entlasten Menschen von monotonen oder anstrengenden Tätigkeiten und arbeiten – einmal eingerichtet – mit verlässlicher Wiederholgenauigkeit und hohen Geschwindigkeiten. Das Programmieren bzw. Einrichten ist jedoch die Krux. Je nach Komplexität des Werkstücks ist es sehr zeitaufwendig und erfordert eine Menge Knowhow. Roboter lohnen sich deshalb erst ab größeren Stückzahlen und nur bei sich wiederholenden Aufgaben. Ein neuer Ansatz, der bereits die Einrichtung des Roboters stark vereinfacht, macht seinen Einsatz nun in Anwendungen attraktiv, die bislang wegen ihrer Komplexität oder Individualität schwer oder gar nicht programmiert werden konnten. Das eröffnet zahlreiche Anwendungsgebiete. Eines davon ist die Oberflächenbearbeitung.
Für Anwender, die wenig Erfahrung mit Roboter-Programmierung haben, hat sich in den vergangenen Jahren Teach-in über Teachpunkte am Werkstück als einfache und effiziente Herangehensweise erwiesen. Bei schwer erreichbaren Teachpunkten kommt diese Methode aber an ihre Grenzen, ebenso bei komplexen Bauteilgeometrien, denn dann müssen sehr viele Teachpunkte angelegt werden. Hier ist diese Herangehensweise nur dann wirtschaftlich, wenn anschließend eine große Anzahl der gleichen Werkstücke mit dem Roboter bearbeitet werden soll. Für Kleinserien dagegen ist der Einsatz von Robotern nicht attraktiv. Schade, denn gerade dort bleibt bei der Oberflächenbearbeitung für den Menschen oft belastende Handarbeit, deren Zeitaufwand und Qualität nur bedingt planbar sind. ArtiMinds geht mit ihrer Robot Programming Suite (RPS) einen alternativen Weg. Mit ihrer grafischen Bedienoberfläche und fertigen Programmbausteinen lassen sich Roboter einfacher und effizienter programmieren. Außerdem sorgt die RPS für eine reibungslose Integration von Sensoren und Werkzeugen, ohne dass Fachwissen für diese Tools oder Kenntnisse in der jeweiligen Robotersprache vorhanden sein müssen.
In drei einfachen Schritten zum Ziel
Die RPS arbeitet beim Programmieren von Pfaden für die Oberflächenbearbeitung mit ohnehin vorhandenen CAD-Modellen. Diese lädt der Anwender im ersten Schritt in die RPS und definiert dann Referenzbahnen z.B. über Kantenauswahl des CAD-Modells, durch Generierung von Mäandern auf der ausgewählten Fläche oder über den Import von Pfaden, die bereits in der CAD-Software vorbereitet wurden. Referenzbahnen lassen sich weiter editieren, um z.B. eine zusätzliche An- oder Abrückbewegung zu realisieren. Im zweiten Schritt wählt der Anwender dann für jede Referenzbahn aus verschiedenen Vorschlägen aus, wie ein bestimmtes Werkzeug entlang dieser Bahn bewegt werden soll. Klassische Anwendungsszenarien im Zusammenhang mit der Oberflächenbearbeitung sind z.B. Entgraten, Schleifen, Bürsten, Polieren oder zerstörungsfreies Prüfen. Im dritten Schritt übersetzt die RPS im Hintergrund die erstellte Software in ein natives Roboterprogramm, das dann ohne zusätzliche Hardware auf der Robotersteuerung des Anwenders ausgeführt werden kann.
Roboter auch ohne Vorerfahrung programmieren
Mit dieser Methode wird der Einsatz von Robotern nun auch für Unternehmen nutzbar, die bislang keinerlei oder kaum Erfahrung mit Robotern hatten. Das Roboterprogramm bietet gängige Standardmethoden zum Vermessen von Werkzeugen oder dem Kalibrieren von Referenzpunkten, wodurch eine zielgerichtete Inbetriebnahme möglich wird. Eine aufwendige Roboterprogrammierung via Zeilencode ist nicht notwendig. Im Gegensatz zum Teach-in-Verfahren legt der Nutzer wichtige Prozessparameter, wie z.B. Anstellwinkel oder aufzubringende Kraft des Werkzeugs explizit fest und kann diese jederzeit ändern, wodurch der Prozess leichter eingefahren werden kann.
In der Software ist bereits jede Menge Prozess-Knowhow integriert. Damit werden Bearbeitungsprozesse unabhängiger von der Expertise einzelner Mitarbeiter. In Zeiten des Fachkräftemangels ein schlagkräftiges Argument. Ein Beispiel: Beim Entgraten wird automatisch ausgenutzt, dass das Werkzeug bei gleichbleibendem Anstellwinkel um die Drehachse beliebig positioniert werden kann. Bei einer zerstörungsfreien Prüfung ist es notwendig, dass der Sensor plan auf der zu prüfenden Fläche aufliegt, er muss aber nicht in Richtung der Bewegung ausgerichtet werden. Die automatische Berechnung optimierter Roboterbahnen ermöglicht, dass der Arbeitsbereich des Roboters optimal ausgenutzt wird, um auch schwer zugängliche Stellen an einem Werkstück bearbeiten zu können.
Programme einfach optimieren
Ein Vorteil ist auch, dass die RPS übergreifend von der Planung über die Programmierung bis hin zum Betrieb eingesetzt wird. Dadurch ist eine Rückkopplung direkt aus dem Prozess und eine entsprechende Prozess-Optimierung möglich.. Zudem erlaubt die Verknüpfung mit der automatischen Datenerfassung in ArtiMinds LAR (Learning and Analytics for Robots) dem Nutzer, Testreihen mit unterschiedlichen Prozessparametern zu vergleichen und zielgerichtet Optimierungspotential abzuleiten. Man muss also nicht mehr allein anhand des Ergebnisses Rückschlüsse auf den Prozess ziehen. Diese Methode kann insbesondere dann ausgesprochen nützlich sein, wenn Testreihen teuer sind oder der Prozess schwer einsehbar ist.
Externe Sensorik integrieren – Fehlstellen auspolieren
Praktisch ist zudem, dass sich externe Sensorik einfach integrieren lässt. Gerade über Kraftregelung entstehen vielfältige Möglichkeiten, Prozesse robust gegenüber kleineren Abweichungen im Werkstück oder der Zuführung zu gestalten. Durch die einfache Kombination mit 2D- oder 3D-Sensorik können Roboterbewegungen automatisch angepasst werden, um größere Abweichungen zu kompensieren. Die Visomax Coating GmbH, Experte für Schleif- und Polierprozesse, nutzt diese Möglichkeit beispielsweise beim kraftgeregelten Polieren von Fehlstellen an lackierten Oberflächen. Dazu musste nicht nur der Polierprozess selbst in der Roboteranwendung realisiert, sondern auch die notwendigen Sensorik-Komponenten integriert werden. Eine Kamera erkennt die Fehlstellen auf dem Bauteil, der Roboter fährt die Koordinaten der Fehlstellen kraftgeregelt an und poliert sie dann aus. Ein solches Vorgehen ist bei herkömmlicher Roboterprogrammierung wenn überhaupt nur mit immensem Aufwand denkbar.
Robotergestütztes Bearbeiten von komplexen Geometrien
Moderne Werkstoffe ermöglichen die Produktion langlebiger Werkstücke mit hochkomplexen Geometrien. Nachbearbeitungen wie Entgraten oder die Oberflächenbearbeitung solcher Werkstücke sind dann oft aufwendig, gerade wenn es sich um sehr große Bauteile handelt. Das amerikanische Unternehmen Green Tweed, das ein vielfältiges Portfolio an Thermoplast- und Verbundwerkstoffkomponenten in relativ kleinen Chargen produziert, konnte dank der RPS selbst eine flexible Roboter-Entgratzelle zur Oberflächenbearbeitung von wechselnden, komplexen Bauteilen erstellen. Die Bearbeitungszeit der jeweiligen Bauteile hat sich im konkreten Anwendungsfall dadurch mehr als halbiert. Der Anwender freut sich aber auch, dass er durch die neue Technik nun innovativer und flexibler agieren kann.
Roboter auch bei Kleinserien
Die Maus GmbH Modell- und Formenbau aus Karlsruhe produziert Aluminiumwerkzeuge zur Herstellung von Kunststoffkörpern in einem speziellen Rotationsgießverfahren. Digitalisierung spielt für das Unternehmen eine wichtige Rolle in Bezug auf die Planbarkeit der Prozesse und um Mitarbeiter von schweren Aufgaben zu entlasten. Nach der Digitalisierung der Fräsmaschinen war eine automatisierte Lösung, die Mitarbeiter bei der Oberflächenbearbeitung unterstützt, der folgerichtige Schritt. Melchior Maus, technischer Modellbauermeister bei Maus beschreibt: „Wir hatten noch gar keine Erfahrung mit Robotern, aber ArtiMinds hat uns mit ihrer RPS sehr geholfen. Das Unternehmen hat uns die Türen in die Robotik geöffnet.“ Für die Programmierung arbeitet Maus vorwiegend mit der CAD2Path-Methode, über die er Linien aus CAD-Daten auf eine Fläche des jeweiligen Bauteils projiziert. Dann gibt Maus vor, wie und mit welcher Kraft der Roboter die Fläche abfahren und die Oberfläche schleifen soll.
Maus begeistert vor allem, dass dank des einfachen Vorgehens Roboter nun auch für den Einzelfertigungsbereich nutzbar werden. Es erleichtert zudem seine Prozessplanung, dass die Software offline programmiert werden kann. Das ermöglicht ihm, kommende Projekte zeitlich entkoppelt vorzubereiten. Das heißt, die Software für die Oberflächenbearbeitung eines Gussteils kann bereits erstellt werden, wenn das Teil selbst noch gar nicht produziert wurde. Praktisch findet er auch die Simulation, die ihm dabei hilft, Kollisionen zu vermeiden und dass die RPS das erstellte Programm in die Programmiersprache des jeweiligen Roboters übersetzt. Künftig stellt sich das Unternehmen vor, an jedem Bearbeitungsplatz dem jeweiligen Mitarbeiter einen Schleifroboter zur Unterstützung an die Seite zu stellen. Auch diese Anwendung macht deutlich, dass ohne spezifische Fachkenntnis der Einsatz anspruchsvoller Technologien möglich wird, die üblicherweise nur Spezialisten vorbehalten sind.