Digitaler Zwilling

Vorteil durch virtuellen Teileanlauf

Vorteil durch virtuellen Teileanlauf

Die Hanomag Aluminium Solutions GmbH veredelt in Kassel und Baunatal Aluminiumkomponenten für die Automobilindustrie durch Wärmebehandlung und mechanische Bearbeitung. Die d.u.h.Group schuf mithilfe von Siemens Xcelerator Software den vollständigen digitalen Zwilling des Maschinenparks. Damit konnte Hanomag Aluminium Solutions auf die hauptzeitparallele Erstellung und Optimierung der NC-Programme am Computermodell umstellen und so den Maschinenstillstand beim Teileanlaufs um 90 % senken und zugleich mit belastbaren Vorschaudaten die Zuverlässigkeit der Angebotskalkulation steigern.

Die Anforderungen an Produkte steigen stetig, ebenso deren Komplexität. Vor allem im Fahrzeugbau herrscht ein Zielkonflikt zwischen höheren Geschwindigkeiten und Fahrzeuggewichten und der Forderung nach einem sinkenden Energie- und Rohmaterialverbrauch. Dieser lässt sich nur mit konsequentem Leichtbau lösen. Dabei ist neben der konstruktiven Gestaltung die Werkstoffwahl ein wichtiger Stellhebel.

Dank seiner geringen Dichte und guten Festigkeitseigenschaften ist Aluminium ein bevorzugter Werkstoff in der Luft- und Raumfahrt sowie für den Bau schienen- und straßengebundener Fahrzeuge. Speziell im Kraftfahrzeugbau findet das Leichtmetall an zahlreichen Stellen Verwendung, von den Verbrennungs- oder Elektromotoren über Fahrwerks- und Strukturbauteile bis zu Türen und Karosserieteilen. Dabei kommen sowohl gegossene als auch umgeformte Komponenten zum Einsatz.

Spezialisierte Aluminium-Teilebearbeitung

Auf das Veredeln von Aluminiumkomponenten vor allem für den Automobilbau spezialisiert ist die Hanomag Aluminium Solutions GmbH. Sie gehört seit 2021 zur Hanomag Lohnhärterei Gruppe und betreibt an den Standorten Kassel und Baunatal 26 Kammer- und Durchlauföfen. Zusätzlich werden die dort wärmebehandelten Zylinderköpfe, Motorblöcke, Hilfsrahmen und Gehäuseteile auf einem beeindruckenden Maschinenpark mit knapp 40 4-Achs und 5-Achs CNC-Bearbeitungszentren mechanisch bearbeitet, die alle mit modernen SINUMERIK-Steuerungen ausgerüstet sind. Daneben erfolgen auch fertigungsbegleitende Messungen an Koordinatenmessmaschinen. „Wir bearbeiten im Drei- bis Vierschichtbetrieb ausschließlich Aluminiumteile in unterschiedlichen Jahresstückzahlen, vom Prototyp über die Vorserie bis zur Großserie“, erklärt Dominik Köhler, Produktionsleiter Kassel bei der Hanomag Aluminium Solutions GmbH. „Dabei durchlaufen die Bauteile oft sämtliche Bearbeitungsschritte bis zur Einbaureife, ein Teil wird aber auch nur vorbearbeitet.“

Produktivitätsfaktor Teileanlauf

Die Bearbeitungsintensität der Teile ist sehr unterschiedlich; die Teile weisen Bearbeitungszeiten zwischen 75 und 540 s auf. Ihre durchschnittliche Laufzeit beträgt etwa sieben Jahre, Tendenz fallend. „Nicht nur deshalb ist es für uns als Auftragsfertiger wichtig, die Umrüst- und Einfahrzeiten bei einem Bauteilewechsel zu reduzieren“, sagt Dominik Köhler. „Ebenso wichtig war unserem Management auch, frühzeitig tragfähige Voraussagen über die genauen Bearbeitungszeiten als Grundlage für verbindliche Angebote zu erlangen.“

Dem Produktionsleiter war bewusst, dass diese Ziele mit den bisherigen Verfahren nicht ohne Weiteres zu erreichen sein würden. „Das Erstellen und vor allem das Optimieren der Maschinenprogramme erfolgten direkt an den Maschinen“, berichtet er. „Das Einfahren eines neuen Bauteils blockierte die betroffene Maschine samt dem zugeordneten Personal 15 Schichten oder fünf Tage lang.“

Fertigungsdigitalisierung als Ziel

Das ließ bei Dominik Köhler den Wunsch aufkommen, diese Tätigkeiten so weit wie möglich hauptzeitparallel durchzuführen. Er wandte sich an alle namhaften Hersteller von CAM-Software. Darunter befand sich auch Siemens Digital Industries Software, Hersteller des branchenführenden Siemens Xcelerator Business-Plattform aus Software, Hardware und Services zur Abdeckung des gesamten Produktlebenszyklus und der damit verbundenen Prozesskette. Zu diesem gehört unter anderem die Software NX für computergestützte Konstruktion (CAD) und Fertigung (CAM).

Da der Großteil des Stillstands nicht durch die Programmierung verursacht wurde, sondern durch sukzessive Optimierungen, würde allerdings die Anschaffung von CAM-Software allein nicht ausreichen. Um den Bauteileanlauf zum überwiegenden Teil in realitätsnaher Simulation maschinenspezifisch am Computermodell zu erledigen, brauchte es einen größeren Digitalisierungsschritt.

Hauptzeitparalleles Programmieren

Für die Realisierung des Projektes verwies der Softwarehersteller Hanomag Aluminium Solutions an die d.u.h.Group GmbH. Dieses mittelständische deutsche Unternehmen bietet ihren Kunden als langjähriger Platinum Smart Expert Partner von Siemens Digital Industries Software maßgeschneiderte Lösungen, um ihre Prozesse effizient zu gestalten und ihre digitale Transformation voranzutreiben. Dazu gehören neben Softwareimplementierung, Beratung und Schulung auch kundenspezifische Softwareanpassungen und -entwicklungen.

Die Fertigungssoftwarespezialisten der d.u.h.Group entwickelten für Hanomag Aluminium Solutions fünf Postprozessoren zur Verwendung mit NX CAM. Diese sind konfigurierbar und können dadurch den gesamten Maschinenpark in Kassel und Baunatal abdecken. Das ermöglicht die hauptzeitparallele Programmerstellung auf Basis der 3D-Teiledaten.

Diese werden von den Auftraggebern in unterschiedlichen Dateiformaten angeliefert. „Die Möglichkeit, alle gängigen Formate zu importieren und so zu den Genauigkeitsverlust bei Verwendung von Neutralformaten zu vermeiden, war ein Entscheidungskriterium für NX CAM“, berichtet Dominik Köhler. „Ein anderes war die Fähigkeit der Software, mit den aufgrund der Bearbeitungsvielfalt häufig sehr hohen Datenmengen umzugehen.“ Dazu kommen Funktionen für die automatisierte Erstellung wiederkehrender Bearbeitungsschritte auf Basis von Geometrieeigenschaften.

Der virtuelle Maschinenpark

Um nicht nur die NC-Programmerstellung, sondern auch den Einfahrvorgang hauptzeitparallel im Büro durchführen zu können, schufen die Digitalisierungsexperten der d.u.h.Group den vollständigen digitalen Zwilling der Werkzeugmaschinen. Dazu verwendeten sie die von den Herstellern zur Verfügung gestellten 3D-Konstruktionsdaten der Maschinen.

Bereits damit lässt sich ein sehr gutes Computermodell der Maschine erzeugen. Dieses kann jedoch das reale Zeitverhalten der Steuerungselektronik nicht berücksichtigen. Deshalb lässt sich damit der Bearbeitungsvorgang nicht hinreichend präzise simulieren, um ein repräsentatives Ergebnis mit der Möglichkeit der direkten Übertragung in den Echtbetrieb zu liefern. Die Softwareentwickler der D.u.h.Group nutzten daher die Möglichkeit, den Siemens Virtual NC Controller Kernel (VNCK) zu NX CAM hinzuzufügen. Dadurch erfolgt der Betrieb der virtuellen Maschinen und damit die Bearbeitungssimulation auf Basis der echten Steuerungssoftware. „Unsere CAM-Experten schufen vollständige digitale Zwillinge der Werkzeugmaschinen“, sagt André Fehn, Presales und Teamleiter CAM bei der d.u.h.Group GmbH. „Das ermöglicht eine wirklichkeitsgetreue digitale Abbildung der Bewegungen der tatsächlichen Werkzeugmaschinen mit den exakten Geschwindigkeiten, Beschleunigungen, Werkzeugwechseln und Zykluszeiten.“

Mit Dienstleistungen wie Personalschulungen, Installation und Infrastrukturoptimierung sowie Einbindung der Kundenprozesse sorgten sie darüber hinaus für einen raschen und problemarmen Übergang. Programmierung, Überprüfung und Optimierung der komplexen Bearbeitungsvorgänge erfolgen nun an zwei Computerarbeitsplätzen statt direkt an den Maschinen. Dabei ist auch die Simulation von manuell erzeugtem NC-Code möglich, ebenso ein direktes Feedback an die Teilekonstruktion.

Enormer Produktivitätsgewinn

Die NX CAM Simulation auf Basis des digitalen Zwillings des gesamten Maschinenparks hat den Einfahrvorgang für neue Teile bei Hanomag Aluminium Solutions revolutioniert. Dieser hat nun Ähnlichkeit mit einer virtuellen Inbetriebnahme. Da wie auch dort erfolgt das Hochfahren zunächst am Computermodell. Das hilft, Kollisionen zu verhindern, das Risiko zu senken und Ausschuss zu vermeiden.

Erst wenn das virtuelle Einfahren am digitalen Zwilling erfolgreich absolviert wurde, gehen die Werkstücke auf die reale Maschine. Dort werden auch weiterhin noch letzte Optimierungen durchgeführt. Allerdings hat sich der Zeitbedarf direkt an der Maschine von vorher 15 auf nunmehr eine Schicht reduziert. „Die Ersparnis beträgt über 90 Prozent oder rund 11.000 Euro pro Bauteil“, betont Dominik Köhler. „Allein dadurch hat sich die Investition innerhalb eines Jahres amortisiert.“

Dazu kommt, dass durch die exakte Berechnung der Taktzeiten auch die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Angebotskalkulation stark gestiegen ist. Das ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens auf einem stark umkämpften Markt.

Aufgabenstellung:

  • Verkürzung unproduktiver Nebenzeiten
  • Vermeidung von Maschinenstillstand
  • Erhöhung der Zuverlässigkeit der Angebotskalkulation

Lösung:

  • Umstellung der NC-Programmierung auf CAM mit Siemens NX
  • Postprozessoren für den gesamten Maschinenpark
  • Schaffen des digitalen Werkzeugmaschinenzwillings durch Hinzuzufügen des Siemens Virtual NC Controller Kernel (VNCK) zu NX CAM
  • Umstellung auf hauptzeitparalleles Einfahren am digitalen Zwilling


Nutzen:

  • Optimierung bestehender Programme und Testläufe am Büroarbeitsplatz statt an der Maschine
  • Automatisierung der Prozesse in NX CAM durch automatische Werkzeugvermessung und Werkzeugkorrektur
  • Reduktion des Maschinenstilstands beim Teileanlauf von 15 Schichten auf eine
  • Ca. 11.000 € Einsparung bei jedem neuen Bauteilanlauf
  • Exaktere, belastbare Daten für die Angebotskalkulation

Produktgeber: Siemens Digital Industries Software

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