Fachartikel
Single Pair Ethernet
„Wir glauben fest an den Game-Changer SPE“
Harting gehört zu den Pionieren in der Entwicklung der Technologie Single Pair Ethernet (SPE) zur Datenübertragung. Ralf Klein, Geschäftsführer von Harting Electronics, ist von Beginn an dabei und gibt tiefere Einblicke in diese neue, spannende Welt.
Herr Klein, wie schätzen Sie den momentanen Stand der SPE-Technologie ein – im Allgemeinen und bei Harting im Speziellen?
Im Moment gibt es verschiedene Übertragungsstandards, die definiert sind in den bekannten Längen-Daten-Kombinationen. Der Großteil wird durch die Automobilindustrie getrieben – mit der Anforderung 15 Meter Übertragungsstrecke. Zudem gibt es Applikationen aus dem Bus- und Truck-Umfeld mit bis zu 40 Metern und der Prozessautomatisierung mit bis zu 1 000 m. Das Ganze ist aber begrenzt bis 10 Mbit. Technologisch gesehen fehlt den Menschen aus der Factory Automation noch der Standard, an den sie gewöhnt sind, also die 100 m bei 100 Mbit. Es geht um die optimale Nutzung der Technologie und die bietet ja die Möglichkeiten, entweder die Datenmenge zu erhöhen auf bis zu 10 Gbit oder die Distanz auf über 100 m. Wichtig ist, dass zunächst einmal die IEEE daran arbeitet, weil diese ja üblicherweise die Standards setzt.
Was macht Harting inhouse?
Es ist wichtig, den Weg der Technologie weiterzugehen, und die Ethernet-Protokolle an die Factory Automation anzupassen. Im Grunde genommen verfolgen wir dazu drei Ansätze: Der eine ist, in der IEEE mitzuwirken, um die Protokolle anzugehen und Projekte aufzusetzen. Dieser Weg ist am entscheidendsten, weil er die Akzeptanz in der gesamten Industrie fördert. Wir arbeiten dort an Distanzen mit bis zu 500 m.
Der nächste Ansatz ist die Aufbringung von Forschungsgeldern. Wir sind zum Beispiel das Bundesministerium für Wirtschaft gemeinsam mit der Universität Reutlingen angegangen, um auch so die Voraussetzungen für höhere Übertragungsstrecken zu setzen und einen technologischen Beitrag zu leisten, den wir in die IEEE-Gespräche mit einbringen können.
Der dritte Punkt, den wir auch auf Hannover Messe gezeigt haben, ist eine Innovationsumgebung, um die Technologie an ihr Limit zu bringen und zu schauen, was geht mit dem, was es heute gibt, obwohl die Protokolle noch nicht definiert sind. Wir haben bereits auf der SPS gezeigt, dass wir mit zwei unterschiedlichen Switchen eine Strecke von 90 m bei 100 Mbit locker schaffen können. Die Interoperabilität mit den Kollegen von Hirschmann hat dabei sehr gut funktioniert. In Hannover konnten die Besucher dann sehen, dass sich die Distanz deutlich erhöhen lässt. Und das unter Nutzung von Komponenten, die eigentlich für kürzere Reichweiten ausgelegt sind. All dies lässt sich nicht 1:1 ins Industrieumfeld übertragen, aber wir wollen zeigen, mit SPE geht noch mehr – nicht nur über die Protokolle, sondern auch über die Hardware.
Das Stichwort leitet elegant zum Kampf der Steckgesichter über. Wie sieht es da momentan aus? Ist ein gemeinsamer Standard in Sicht oder müssen die Welten parallel existieren?
Wenn sich heute jemand mit SPE auseinandersetzen und eine Anlage bauen möchte, dann ist es ja für ihn häufig das erste Mal und er weiß nicht genau, was es an Hardware gibt. Über unser Partnerprogramm kann er auf eine Datenbank zurückgreifen, die schon heute sehr viele Produkte umfasst. Es geht nicht nur um Stecker, sondern auch um Chips und Übertragungskombinationen, Switche oder Kabel. Dabei handelt es sich um eine objektive Plattform, um Interessierten die Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit der Technologie auseinanderzusetzen.
Die verschiedenen Steckgesichter sind ein sehr deutsch geprägtes Thema, weil es in unserem Land einige Weltmarktführer in dieser Nische gibt. Für mich persönlich sind die Entscheidungen durch die Normungsgremien ziemlich klar getroffen. Es gibt zwei Netzwerke, aber trotzdem haben wir mit mehreren Großen am Markt und den drei führenden amerikanischen Anbietern eine Abdeckung von 85 Prozent. Die Steckerdiskussion wird vielerorts überbewertet, weil die Technologie zählt, und die Anwender die Benefits davon für ihre Applikationen nutzen wollen. Schaffe ich es, mein Gerät zu miniaturisieren? Schaffe ich es, meine Infrastruktur so aufzusetzen, dass ich direkt auf die IP-Adresse des Sensors zugreifen kann?
Wir glauben an die Ausführung unseres Steckverbinders, weil er aufgrund des Designs sehr zukunftsfähig ist und mit bis zu 10 Gbit übertragen kann. Das schafft sonst kein anderer Industriesteckverbinder. Es entwickeln sich aber gerade noch andere Gesichter, die wir in der Strich 6 auch unterstützen: den M8, den M8 hybrid, den M12 oder bald auch den M12 hybrid. Es gibt eine Reihe von guten Varianten unterschiedlicher Hersteller.
Was sind denn dann die nächsten Stufen, die die SPE-Technologie nehmen muss?
Die Entwicklung des neuen Standards mit Datenraten von mindestens 100 Mbit ist wichtig für die Industrie, weil er eine mentale Hürde beiseiteschiebt. In vielen Applikationen wie beispielsweise der kleinen Roboter in einer Arbeitszelle sind solche Werte gar nicht notwendig, aber es zeigt den Kunden die Möglichkeiten von SPE auf. Darum ist einer der Schlüsselpunkte die Einigung innerhalb der IEEE.
Außerdem setzen sich mehr und mehr Unternehmen mit SPE auseinander und bringen Prototypen oder Anlagen heraus, die darauf basieren. Meiner Einschätzung nach ist da schon viel ins Rollen gekommen. Vor vier Jahren haben die meisten nicht mal gewusst, was das überhaupt ist. Selbst vor zwei Jahren war das bei Ingenieuren aus führenden Technologiefirmen der Fall. Heute beschäftigen sich alle Marktführer mit dem Thema. Schritte wie eine SPS, die auf SPE fußt, werden noch dauern, aber die Player im Markt sind aktiv. Wenn einige mit Beispielapplikationen vorangehen, werden viele andere folgen, und dann wird aus SPE insgesamt ein mächtiges Thema.
Auf welches konkrete Produkt dürfen wir uns bei Harting demnächst freuen?
Wir komplettieren immer weiter unsere Produkt-Roadmap. Kürzlich haben wir einen 10-G-fähigen SPE-Steckverbinder aus serienreifen Produkten vorgestellt und eine IP20-fähige Ausführung gelauncht. Es gibt von Harting einen M8 und einen M8 hybrid. Derzeit beschäftigen wir uns mit der Entwicklung von Produkten des Strich 7 Standards, wie den hybriden M12-Steckverbindern.
Zudem vervollständigen wir auch permanent unser aktives Portfolio. Wir haben einen SPE-basierten Switch und einen Übersetzer von altem auf neues Ethernet im Programm. Letztlich bieten wir auch Produkte für die Maker-Scene, also junge Ingenieure und Tech-Freaks, die sich mit SPE beschäftigen. Da gehen wir kooperative Wege, denn SPE als Technologie ist für jeden frei verfügbar. Die Standards kann jeder nachbauen und diese sind auch nicht durch Patente geschützt. Von Beginn an wollten wir einen Austausch und uns war wichtig, das nicht allein zu machen.
Was kann SPE in Sachen Nachhaltigkeit leisten?
Ich bin bei diesem Thema immer etwas vorsichtig, weil es derzeit überstrapaziert wird. Der Hauptbenefit von SPE in diesem Bereich liegt meiner Meinung nach auf der Hand, weil man Gigabit-Ethernet mit zwei Kupferdrähten übertragen kann. Für andere Übertragungsarten braucht man bis zu acht Einzeladern. Mit SPE lässt sich der Kupferverbrauch halbieren oder sogar vierteln und gerade wird dieser Rohstoff knapp auf dem Weltmarkt und angesichts der derzeitigen Verknappung auf dem Kupfermarkt ist das nicht nur aus ökologischer Sicht ein immenser Vorteil. Auch der Kunststoffbedarf für die Isolierung sinkt. Angesichts der möglichen Miniaturisierung der Komponenten fallen auch elektronische Bauteile weg. Es geht also hauptsächlich darum, weniger Materialien zu verbrauchen und so die Umwelt zu schonen. Es muss aber alles verfügbar sein, um mit und für SPE die notwendige Infrastruktur aufzubauen.
Ein Schlusswort?
Wir haben von Anfang an die Technologie geglaubt und uns damit befasst, ob sie in der Industrie eine Chance hat. Uns war klar, dass hier ein Game-Changer unterwegs ist, und sind voll überzeugt in die Technologie eingestiegen. Wir wollen Technologien für Menschen schaffen und glauben fest an das Potenzial von SPE.