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Robotik erkunden: Azubis als Multiplikatoren der Automatisierung

Robotik erkunden: Azubis als Multiplikatoren der Automatisierung

Sinkende Bewerberzahlen für Studienplätze und Ausbildungen treffen auf einen zunehmenden Fachkräftemangel. Die Metall- und Elektroindustrie steht vor neuen Herausforderungen. Für das Bildungszentrum GLW Velbert bei Essen ist klar: Es ist an der Zeit, dass junge Menschen die Berufe in dieser Branche wieder als attraktiver empfinden. Aus diesem Grund hat das Zentrum seine Lehrwerkstatt mit kostengünstigen Robotern des Kölner Unternehmens Igus modernisiert. Ziel ist es, die Nachwuchsfachkräfte zu Botschaftern der Automatisierung zu machen. 

Die Metall- und Elektroindustrie sieht sich mit schweren Zeiten konfrontiert, da mehrere Herausforderungen die Branche belasten. Erstens wird sie für junge Menschen zunehmend unattraktiv: Die Bewerberzahlen für duale Studienplätze sind um 33 % gesunken, für Ausbildungsplätze sogar um 60 Prozent, meldet Nordmetall1, der Verband der Metall- und Elektroindustrie. Zweitens leiden viele Betriebe unter einem Mangel an qualifizierten Ausbildern, insbesondere im ersten intensiven Lehrjahr, was sich weiter verschärfen wird, wenn die Babyboomergeneration allmählich in den Ruhestand geht. Drittens hat die Automatisierung, die Großkonzerne bereits erfolgreich einsetzen, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, in vielen mittelständischen Unternehmen noch nicht Fuß gefasst. Viele Firmen sehen Lösungen als zu teuer und zu kompliziert an.  

In diesen anspruchsvollen Zeiten ist die Metall- und Elektroindustrie mehr denn je auf Unterstützung angewiesen. Ein inspirierendes Beispiel hierfür findet sich in Velbert bei Essen. Dort betreibt der Verein „Gemeinschaftslehrwerkstatt der Industrie von Velbert und Umgebung“ (GLW) ein Bildungszentrum, das seit seiner Gründung im Jahr 1938 Betriebe der heimischen Metall- und Elektroindustrie bei der Ausbildung von Fachkräften unterstützt. Die GLW fungiert als eine dritte Anlaufstelle neben den Betrieben und Berufsschulen und erhält finanzielle Unterstützung vom Land Nordrhein-Westfalen und vom Bund. 

Berufsbild hat sich vollständig gewandelt 

Bis zu 120 Auszubildende erlernen in dieser Werkstatt grundlegende Fähigkeiten wie Drehen, Fräsen, Bohren, Schleifen und Feilen an Maschinen. Es gibt fachspezifische Kurse, Weiterbildungsangebote und Prüfungsvorbereitungen. Erfahrene Meister stehen den jungen Menschen insbesondere im ersten, betreuungsintensiven Lehrjahr mit Rat und Tat zur Seite. Dabei geht es nicht nur um fachliche Aspekte, sondern zunehmend auch um persönliche Lebensfragen. Waltraud Reindl, die Geschäftsführerin der GLW Velbert, betont die gestiegene Bedeutung ganzheitlicher Unterstützung für Jugendliche: „Wir haben festgestellt, dass Jugendliche seit der Coronapandemie mit deutlich mehr Zukunftsängsten und psychischen Problemen zu kämpfen haben. Daher haben wir unsere Mitarbeitenden geschult, die jungen Menschen nicht nur mit fachlichem Know-how zu begleiten, sondern auch mit der unterstützenden Lebenserfahrung eines Erwachsenen.“ Die GLW lege außerdem großen Wert darauf, die Attraktivität von Berufen in der Metall- und Elektroindustrie durch Aufklärungsarbeit in den Schulen zu steigern. „Die Vorstellung eines Industriemechanikers beispielsweise erscheint vielen jungen Menschen der Generation Z wenig ansprechend. Sie stellen sich oft eine Arbeit unter ölverschmierten Maschinen bei einer Hitze von 80 Grad Celsius vor. Dabei hat sich das Berufsbild in der Ära der Hochtechnologie vollständig gewandelt und bietet nun eine Vielzahl spannender Aufgaben – wie die Steuerung autonom arbeitender Roboter.“  

Cobots bereichern die Lehrwerkstatt 

Ein Einblick in die Lehrwerkstatt offenbart die faszinierenden Möglichkeiten, die die Metall- und Elektroindustrie heutzutage bietet. Neben den traditionellen Dreh- und Fräsmaschinen findet sich hier auch modernste Technologie wie 3D-Drucker und Roboter. Die finanzielle Möglichkeit dazu bietet das Projekt TRAIBER.NRW vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Das Ministerium unterstützt Projekte wie die Lehrwerkstatt im Rahmen der Förderbekanntmachung „Transformationsstrategien für Regionen der Fahrzeug- und Zulieferindustrie“ mit 4,1 Millionen Euro bis Mitte 2025. 

Geschäftsführerin Waltraud Reindl betont die Rolle der Werkstatt als fundamentalen Bestandteil des dualen Ausbildungssystems und als entscheidenden Akteur im digitalen Zeitalter. Die fortlaufende Integration neuer Technologien würde dabei besonders geschätzt. Zu den neuesten Errungenschaften zählen drei transparente Roboterzellen, in denen Gelenkarmroboter der Serie ReBeL des Kölner Unternehmens Igus agieren. Diese Roboter nehmen bis zu 2 kg schwere Gegenstände mit einem Greifer auf und platzieren sie in einem Radius von 660 mm – mit einer Wiederholgenauigkeit von einem Millimeter. „Zwar vermag der Cobot im industriellen Schwerlastbereich nicht viel auszurichten. Doch für leichte Pick-and-place-Aufgaben am Fließband kommt er immer häufiger zum Einsatz, um die personellen Ressourcen von Betrieben zu schonen“, sagt Markus Schwarz, technischer Verkaufsberater Lagertechnik bei Igus.  

Besonders die einfache Bedienbarkeit des ReBeLs sorge bei jungen Menschen für Begeisterung, wie GLW-Ausbilder Tobias Tielsch betont. „Viele sind erstaunt, wenn wir ihnen einen Playstation-Controller in die Hand geben, mit dem sie den Roboter steuern können. Sie erzielen sofort Erfolge.“ Die nächsten Schritte seien dank Igus Robot Control Software ein Kinderspiel. Bewegungsbahnen des ReBeLs oder eines Deltaroboters, der ebenfalls in der Werkstatt steht, können Azubis mithilfe eines 3D-Modells in wenigen Minuten festlegen – ohne Programmierkenntnisse. „Dank dieses Gamification-Ansatzes werden die jungen Nachwuchskräfte sofort kreativ, ohne technische Barrieren überwinden zu müssen. Sie bringen den Robotern zum Beispiel bei, Plastikringe in unterschiedlichen Formationen abzulegen.“ Vorteilhaft sei hier auch, dass Igus die Software zum kostenlosen Download anbietet. „So können unsere Auszubildenden das Programm auf ihre Computer laden und zu Hause üben.“  

Ein weiterer Vorteil ist laut Tielsch die Kompatibilität des ReBeLs mit gängigen speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS). In der Werkstatt trainieren die Auszubildenden, zwei Cobots über eine SPS interagieren zu lassen. Im Betrieb könnten sie mit diesen Kenntnissen den Roboter in Bestandsanlagen integrieren. Tielsch: „Wir stellen zudem fest, dass die Modernität der Roboter auf andere Tätigkeitsbereiche positiv wirkt. Eine klassische Oberflächenbehandlung von Werkstücken beispielsweise erscheint viel attraktiver, wenn sie unter der Fragestellung erfolgt, ob ein Roboter sie mit einem Vakuumgreifer gut aufnehmen kann. Diese Arbeiten machen plötzlich viel mehr Spaß.“  

„Wir wollen mündige Azubis, die durch den Betrieb gehen und sagen: Hier geht in puncto Automation etwas.“ Reindl und Tielsch sind überzeugt, dass Auszubildende, die in der Lehrwerkstatt des GLW den Umgang mit Robotern trainieren, zu Multiplikatoren der Automatisierung in der Metall- und Elektroindustrie werden können. „Wir wollen, dass unsere Auszubildenden befähigt sind, in ihre Betriebe zu gehen und zu sagen: Hier gibt es Möglichkeiten zur Automatisierung, und zwar viel kostengünstiger und bequemer, als es noch vor einigen Jahren möglich gewesen wäre“, unterstreicht Tielsch. Vielen Unternehmen sei derzeit nicht klar, wie budgetschonend etwa Gelenkarmroboter geworden sind. Kosten klassische Industrieroboterarme, die etwa Schweißarbeiten in Automobilwerken übernehmen, schnell über 100.000 Euro, sind ihre Low-Cost-Pendants um ein Vielfaches günstiger. „Der ReBeL kostet inklusive Steuerung nur 4.970 Euro“, erläutert Schwarz. Darüber hinaus ist der Aufwand für die Inbetriebnahme dieser Roboter signifikant gesunken. Es ist nicht mehr so, dass Programmierung und Integration bis zu 70 Prozent der Kosten einer Roboteranwendung ausmachen. „Daher sind hohe Investitionskosten und komplexe Programmieraufgaben keine Gründe mehr, sich vor der Automation zu scheuen. Die jungen Fachkräfte können diese Entwicklung in die Betriebe tragen und somit einen flächendeckenden Automationsboom vorantreiben.“  

Low-Cost-Robotik als Gamechanger 

Der günstige Preis des ReBeLs aus Köln ist teilweise auf die Materialauswahl zurückzuführen. Im Roboter findet man praktisch kein Metall – er besteht fast ausschließlich aus Hochleistungskunststoff. Durch integrierte Fasern und Füllstoffe wird die benötigte Robustheit und Langlebigkeit erreicht. Sogar das Getriebe ist aus einer speziellen Polymermischung gefertigt, was es zum weltweit ersten industrietauglichen Cobot-Getriebe aus Kunststoff macht. Lediglich Motor und Platinen sind noch aus Metall. „Aufgrund dieser Konstruktion ist der ReBeL nicht nur kostengünstig, sondern mit einem Gewicht von acht Kilogramm der leichteste Serviceroboter mit Cobot-Funktion seiner Klasse“, erklärt Sena Esen, technische Verkaufsberaterin Low-Cost-Automation bei Igus.  

Betriebe haben die Möglichkeit, den Roboter auf der Onlineplattform RBTX.com zu konfigurieren und zu bestellen, einschließlich des Zubehörs verschiedener Hersteller – darunter Greifer und Vision-Systeme. Sena Esen: „Bereits Hunderte von Betrieben haben Routinetätigkeiten erfolgreich mit Low-Cost-Automation automatisiert – und das ganz ohne konstruktionstechnische Vorkenntnisse und mit überschaubaren Budgets von unter 12.000 Euro.“ Tielsch betont abschließend: „Die Low-Cost-Robotik ist ein Gamechanger für die Industrie. Sie hat das Potenzial, Betriebe in einer Zeit vielfacher Herausforderungen spürbar zu entlasten und deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Daher sind wir gespannt darauf, in unserer Lehrwerkstatt zukünftig weitere Technik von Igus einzusetzen. Sie unterstützen uns dabei, den Weg für die Zukunft einer neuen Generation von Fachkräften zu ebnen.“  

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